Bild: © ANDREAS KOWACSIK

„Ich habe auch 3 Jahre gebraucht, um Kryptoökonomie einigermaßen zu verstehen“, lacht Alfred Taudes, Vorstand des Forschungsinstituts für Kryptoökonomie an der WU. Da geht es um Bitcoins und Mining, dezentrale Strukturen und Blockchains, Tokens und Smart Contracts. IT und Wirtschaft greifen ineinander und eröffnen völlig neue Möglichkeiten der Transaktionen ohne Intermediäre. Was das für uns bedeutet? Eine Zukunft, die sich auch ohne COVID-19 rasant ändern wird: Neue Jobperspektiven und Veränderungen in der Unternehmenslandschaft inklusive.

Können Sie Kryptoökonomie kurz umreißen?

Naja, ob das so kurz geht (lacht). In der Kryptoökonomie beschäftigen wir uns mit Systemen, die einen Transfer von Werten Peer-to-Peer ermöglichen. Der Schlüssel sind dezentrale Strukturen, die zur Absicherung die Informationen in einer sogenannten Blockchain – in einer manipulationssicheren Verkettung von Datensätzen – speichern. Da der Austausch Peer-to-Peer erfolgt, sind Intermediäre nicht mehr notwendig …

Haben Sie hier ein Beispiel zur Veranschaulichung?

Nehmen wir als Beispiel die Kryptowährung Bitcoin. Bisher war das einzige Geld, das ich Ihnen direkt – ohne der Beteiligung von Dritten – geben konnte, Bargeld. Bei allen elektronischen Transaktionen gab es einen Intermediär, z. B. eine Bank, PayPal oder Ähnliches. Dieser ist meistens auch reguliert, um die Sicherheit zu gewährleisten – es wäre schließlich nicht förderlich, wenn der Intermediär Kontostände manipuliert oder selbst Geld abzweigt. Durch Bitcoin wurde 2008 eine Möglichkeit geschaffen, elektronisch Geld auszutauschen, ohne dass ein Intermediär zwischengeschaltet ist. Also direkt von mir zu Ihnen …

Aber ist das sicher?

Ja, weil die Daten nicht mehr nur bei einem, sondern dezentral bei vielen Knoten im Netzwerk liegen. Die Transaktionen sind nachverfolgbar in einer Blockchain, einer Aneinanderkettung von Datensätzen, gespeichert – eine etwaige Manipulation fällt dem Netzwerk auf. Außerdem garantiert die Verbindung aus Kryptographie und ökonomischen Anreizmechanismen das Funktionieren des Systems. Jeder Knoten hält sich an die Regeln: denn nur für korrektes Handeln werden sie belohnt. Wieder am Beispiel von Bitcoin: Sie bekommen Bitcoins, wenn sie beim Mining Energie aufwenden, um ein kryptografisches Rätsel zu lösen und die Blockchain updaten – also einen neuen Transaktionsblock hinzufügen. Wenn sie hier schwindeln oder Daten manipulieren, gehen sie leer aus und haben umsonst die Energie zum Mining aufgewendet.

Auch der Staat als Regulator hat hier gar keinen Einfluss?

Nein. Bei „normalen“ Währungen kontrolliert der Staat die Geldmenge, um die Geldpreisstabilität kümmert sich die Nationalbank. Bei Bitcoins ist die Menge durch das Programm beschränkt, es gibt niemanden, der regulierend eingreift. Dadurch kommt es zum Teil zu starken Wertschwankungen.

Welche Herausforderungen gibt es außerdem?

Aufgrund der Sicherung durch Mining ist der Durchsatz der Bitcoin-Blockchain im Vergleich zu zentralen Systemen wie VISA gering. Außerdem gibt es bei Währungen einen Netzwerkeffekt – alle profitieren von einer größeren Verbreitung. Als Händler/in akzeptieren Sie Bitcoin, wenn viele Kund/innen Bitcoin nutzen – und umgekehrt. Daher hat sich Bitcoin heute noch nicht auf breiter Front als Zahlungsmittel durchgesetzt, obwohl es eine globale Währung ist. Eine weitere große Herausforderung ist, dass die Bitcoin-Blockchain beim Mining viel Energie verbraucht. Und natürlich waren Transaktionen im illegalen Bereich insbesondere zu Beginn ein großes Problem.

Wie viele Österreicher/innen haben derzeit Bitcoin?

Ungefähr 2 Prozent – allerdings meistens nicht als Zahlungsmittel, sondern als Anlage. Die alten Leute kaufen Gold, die jungen Bitcoin. Und es gibt ein paar Leute, die sind Milliardäre geworden, weil sie zu Beginn in Bitcoin investiert haben. Und Bitcoin ist ja eigentlich erst der Anfang …

Bitcoin ist erst der Anfang …?

Ethereum ist eine neuere Blockchain-Technologie, mit der neue Kryptowährungen, sogenannte Tokens, herausgegeben und komplizierte Überweisungen durchgeführt werden können. Also nicht mehr nur: „Ich schick dir Geld“, sondern: „Ich geb dir ein Darlehen“. Bill Gates hat einmal gesagt: „The world needs banking, but it doesn´t need banks.“ – möglich, dass wir nicht mehr weit von dieser Annahme entfernt sind.

Inwiefern? Glauben Sie, dass sich das Bankwesen durch die Kryptoökonomie verändern wird?

Definitiv, es wird sicher ein Umbruch kommen. Und es gab davor ja auch schon viele Branchen, die durch das Internet massiv unter Druck gekommen sind: das E-Mail hat die Post als Intermediär infrage gestellt, Social Media die gesamte Medienbranche. Alles Peer-to-Peer, von mir zu dir – und in der Mitte ist das Netzwerk. Ich glaube, die Banken könnten als nächstes eine Revolution durch das Internet erleben. Meine Hypothese ist sowieso, dass die Zeit der großen Unternehmen vorbei ist …

Meinen Sie, dass Unternehmen schrumpfen werden?

Ja. Denn durch Blockchains kann ich viele Interaktionen vertrauenswürdig dezentralisieren. Als Produktentwickler/in brauche ich keine große Infrastruktur mehr: Ich verkaufe über eine Online-Plattform, die Produktion outsource ich und die finanziellen Aspekte und Dokumente sichere ich über die Blockchain ab. Denn Blockchains betreffen ja nicht nur Finanztransaktionen, sondern generell Datentransfer und Datensicherung. Ich kann die Technologie auch verwenden, um z. B. Güter in einer Supply-Chain zu verfolgen.

Das heißt, Blockchain ist nicht nur für Kryptowährungen interessant?

Sehr sogar. Durch Blockchains können Fertigungsbetriebe Schritte in Eingangs- und Ausgangsqualitätskontrolle ersparen. Die Industrie 4.0. bietet hier viele Möglichkeiten – wenn z. B. Maschinen selbst Informationen in die Blockchain hochladen. Auch in der Energiewirtschaft, im Gesundheitsbereich und im E-Government gibt es spannende Anwendungsmöglichkeiten. Im Gegensatz zu einer offenen Blockchain, wie z. B. bei Bitcoin, werden hier in der Regel geschlossene Blockchains eingesetzt, bei denen alle Knoten, also Lieferanten oder Kunden, bekannt sind. Viele Unternehmensnetzwerke bauen gerade derartige Blockchains auf, ebenso öffentliche Organisationen.

Das klingt sehr komplex …

Das ist es. Aber es bietet viele neuen Chancen.

Welche neuen Berufsbilder eröffnen sich durch die Kryptoökonomie?

Es gibt jede Menge Jobperspektiven im Bereich der IT. Neben Software-Developing und Mining spielen Data-Scientists eine große Rolle. Sie analysieren die Transaktionen in der Blockchain und entwickeln Algorithmen, z. B. zur Erkennung von Geldwäsche. Und natürlich hat auch die Kryptographie einen großen Aufschwung bekommen.

Und welche Jobs sehen Sie für WU Absolvent/innen?

Heute gibt es bei fast jedem größeren Unternehmen in Österreich Blockchain-Beauftragte, oft WU Absolvent/innen. Basierend auf fundiertem betriebswirtschaftlichen Know-how sorgen sie dafür, dass die neuen Technologien im Unternehmen richtig eingesetzt werden. Sie optimieren bestehende Prozesse und erarbeiten disruptive Geschäftsmodelle auf Basis von geschlossenen Blockchains. Auch im Community-Management offener Blockchains tun sich viele neue Problemstellungen und damit Jobperspektiven für WU Absolvent/innen auf. Die große Frage bei der Gestaltung eines Tokens ist: Wie kann sich ein dezentrales System steuern, ohne dass es kippt oder zur Ungleichverteilung kommt? Wie müssen Anreize gestaltet sein? Welche Rollen gibt es in dem System? Und wie sollen Smart Contracts ausgestaltet werden? Mit ihrer breiten wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung sind WU Absolvent/innen für diese Rolle prädestiniert. Eine wesentliche Rolle in der Token-Ökonomie spielt auch die staatliche Regulierung, wodurch neue Anforderungen und neue Chancen auf die WU Wirtschaftsrecht-Absolvent/innen zukommen. Spannende Fragen, die in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen werden. Und WU Absolvent/innen mittendrin.

Vielen Dank für das Gespräch!

Brigitte Kuchenbecker

Brigitte arbeitet seit elf Jahren für das ZBP. Ihre Leidenschaften sind das Schreiben und die Personalarbeit – umso besser, dass sie als Chefredakteurin des Karrieremagazins und Autorin des Blogs beide Interessen vereinen kann. In ihrer Freizeit findet man sie in der Natur: beim Wandern, Klettern oder Garteln.

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