Foto: © olivialaura.at

Ich kenne Ali schon lange. Vor rund 13 Jahren kam er ins WU ZBP Career Center, um uns sein Start-up Whatchado vorzustellen. Seitdem ist viel passiert – Ali ist nach wie vor erfolgreicher Unternehmer, wurde EU-Jugendbotschafter, ist Keynote-Speaker zum Thema Veränderung und gibt aktuell mit seinem Programm futureOne HEROES Impulse für die eigene Persönlichkeitsentwicklung.  

Zu unserem Interview kommt er direkt von einer Sendungsaufzeichnung für den ORF. Es ist ein busy Tag – und trotzdem nimmt er sich die Zeit, mir eine Begrüßungsbotschaft auf seinen Screen zu schreiben: „Brigitte in da House. Wie schön!“

Ali hat eine schöne, geschwungene Handschrift. „Weißt du, warum ich so schreibe?“, fragt er mich. Ich verneine. „In der Schule zerriss meine Biologielehrerin mein Heft, weil sie meine Schrift nicht lesen konnte. Ich war verzweifelt: Wie sollte ich meine Handschrift ändern?! Da bekam ich einen Tipp von meinem Lehrer der Bildnerischen Erziehung: ‚Ali, hör auf zu schreiben! Fang an zu zeichnen!‘ Und von jetzt auf gleich, innerhalb von einer Minute, habe ich anstelle des geschmierten A ein geschwungenes A auf den Zettel gebracht. Weil ich jetzt zeichne, anstatt zu schreiben …“

Wir starten in ein Gespräch über Chancen und das Denken in Alternativen.

Was ist eigentlich eine Chance? Etwas, das von außen kommt oder das ich mir selbst kreiere?

„Im Leben spielt das Glück eine große Rolle“ – das stimmt. Aber manchen Menschen begegnet das Glück gefühlt viel öfter. Das sind Menschen, bei denen wir sagen: „Wahnsinn, der*die zieht sein*ihr Ding schon durch.“ Hier trifft das Glück auf Vorbereitung. Denn wenn du in dich investierst, wenn du dich reflektierst und dein Leben selbst in die Hand nimmst, werden dich auch viel mehr Möglichkeiten finden. Es ist ein riesiges Problem der heutigen Gesellschaft, dass wir glauben, jemand anderes sei für unser Glück zuständig – die Politik, der Arbeitgeber, die Partner*innen. Aber du bist selbst dafür verantwortlich, dich weiterzuentwickeln und in dich zu investieren.

Wie war das bei dir? Du hast deine Kindheit im Flüchtlingsheim verbracht, heute bist du Impulsgeber, Unternehmer, Keynote-Speaker und Autor. Wie hast du deine Chancen gefunden?

Ich musste mein Leben immer selbst in die Hand nehmen. In meiner Prägephase, also den ersten 10 Jahren meines Lebens, kannte ich so etwas wie „der Arbeitgeber/der Staat wird’s richten“ nicht. Auch meine Eltern lebten mir immer vor, dass wir unser Leben irgendwie selbst hinbekommen müssen. Und ja, ich hatte 40 Jobs, ich hatte mit 27 ein Burn-out, mein Kumpel hat mich aus meinem eigenen Start-up geschmissen – aber Gott sei Dank sind mir all diese Dinge passiert! Jedes Mal, wenn sich in meinem Leben Türen zugemacht haben, war ich gezwungen, in Alternativen zu denken. Und schau, wo ich jetzt bin? Ich habe das Programm futureRocka und arbeite mit Leuten zusammen, die ich wirklich liebe. Ich war noch nie erfolgreicher als heute, bin finanziell noch nie besser dagestanden und auch familiär ging‘s mir nie besser. Ich bin nur wegen all diesen Schritten, Veränderungen und Neustarts der Typ, der heute vor dir sitzt.

Braucht eine Karriere ein „Denken in Alternativen“?

Ja klar. Denken in Alternativen ist nicht die Ausnahme – es ist die Regel. Es gibt keine Sicherheit – egal, ob du heiratest oder einen Job antrittst. Es braucht nur irgendetwas passieren und du denkst dir: „Oh shit, ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass sich der Plan an meine Erwartungen hält.“ Das funktioniert aber nicht – Sicherheitsdenken ist ein Irrglaube. Die Flexibilität mit Unvorhergesehenem umzugehen, ist so wichtig für unser Leben. Die Regel ist „Schauen wir mal“ – nicht ein geradliniger Pfad. Man muss sich vom Leben auch überraschen lassen und mit dem Flow gehen können.

Stichwort Unvorhergesehenes: Aktuell rüttelt KI unsere Arbeitsweise ganz schön durch. Wie siehst du die Auswirkungen z. B. auf Einstiegsjobs?

Klar verändert sich jetzt die Arbeitslandschaft, das war bei technischem Fortschritt aber immer so. Man denke nur an die Eisenbahn, den Computer oder das Internet. Also ja, durch KI werden repetitive Jobs, in denen man immer dieselben Prozesse abarbeitet oder die rein Dienst nach Vorschrift erfordern, wegfallen – und: Hoffentlich werden sie wegfallen! Denn du bist nicht dafür geboren, den ganzen Tag nur Reports zu erstellen. Komplexitätsmanagement wird immer beim Menschen bleiben. Ich denke aber, dass es viel wichtiger werden wird, echt zu lieben, was man tut …

Zu lieben, was man tut?

Ja! Wenn man nur halbherzig einen Karriereweg verfolgt – vielleicht weil die Eltern den Job toll finden, man selbst aber nicht –, kann man schnell ersetzt werden. Es ist wichtiger denn je, die Extrameile zu gehen. Und das geht am besten, wenn man liebt, was man tut. Dann wird man in der Arbeit auch zu einer Brand. Dann ist man viel mehr als eine Job-Description. Und wenn das eine Unternehmen diese Skills nicht braucht, dann werden es die nächsten tun.

Wie kann man mehr als seine Job-Description werden?

Indem man ganzheitlich und nicht nur in den nächsten Arbeitsschritten denkt. Indem man in Persönlichkeitsentwicklung sowie Soft Skills investiert. Indem man jemand wird, auf den man sich verlassen kann. Indem man sich mit neuen Technologien spielt und den Anspruch hat, in der eigenen Fachrichtung der*die Beste zu werden. Und indem man an Alternativen arbeitet und lernt, mit Rückschlägen umzugehen.

Rückschläge können auch gute Lehrmeister sein, oder?

Absolut! Ich bin zum Beispiel vor allem an meinen Krisen gewachsen und finde Rückschläge für die persönliche Entwicklung viel wertvoller als Erfolg. Denn Erfolg lässt dich glauben, dass du alles Wissen dieser Welt hast und nichts schiefgehen kann. Doch man bleibt immer Schüler*in. Ich bin jetzt 42: Je mehr ich weiß, desto demütiger bin ich. Denn ich weiß, dass ich keine Ahnung habe (lacht).

Ich habe einmal von einem Manager gelesen, der am Höhepunkt seines Erfolgs Klavierstunden nahm. Vor allem damit er das Bewusstsein behält, dass er nicht alles kann und in vielen Bereichen weiterhin Anfänger ist …

Das ist Demut in höchster Form. Das ist, was wir Menschen wirklich benötigen. Nicht auf dem Erfolg ausruhen, sondern immer weiter an sich arbeiten. Es gibt so viele Unternehmen, die sich in guten Zeiten unbesiegbar fühlten. Bis die Konkurrenz links und rechts an ihnen vorbeigezogen ist …

Welche Skills und Eigenschaften werden – abgesehen von Demut – in Zukunft den Unterschied machen?

Sam Altman, CEO von OpenAI, nennt Resilienz, Lernlust, Empathie. Das ist super: Diese Fähigkeiten haben wir alle bereits in uns. Jedes Kind lernt gerne die Muttersprache oder steht nach dem Hinfallen wieder auf, um das Gehen zu üben. Ich kann nur den Tipp geben: Begeistert euch für Neues. Seid neugierig. Investiert in eure Beziehungen. Lernt zu streiten. Lernt, Dinge auszuhalten. Nicht immer zu sagen „Der Arbeitgeber ist scheiße“ oder „Ich habe mit meinem Freund gestritten und jetzt suche ich mir den nächsten“. Das ist der größte Schwachsinn.

Wir alle streben nach dem Traumjob – aber es ist manchmal ganz schön schwer, ihn zu finden …

Der Anspruch ist auch zu hoch! Man muss nach der Uni nicht gleich den perfekten Job haben. Man sollte sich um Himmels Willen 5 bis 10 Jahre Zeit geben, an der eigenen Persönlichkeit zu wachsen und herauszufinden, wer man eigentlich ist. Es wird rumpeln. Es wird schwierig. Und man muss auch bereit sein, Dinge zu tun, die nicht cool sind. Das sind einfach die Lehrjahre, die man zahlt.

Das klingt aber nach viel Geduld, die man braucht?

Es hat knappe 10 Jahre gebraucht, bis alle Menschen ein Smartphone verwendet haben. Nur 10 Jahre, bis eine weltweite Bevölkerung ihr gesamtes Kommunikationsverhalten verändert hat! Wir unterschätzen das – wir Menschen können uns verändern. Und wenn die Settings richtig sind, verändern wir uns rasant schnell. Das Problem ist meist, dass die Leute JETZT eine Veränderung erzwingen wollen. Und ungeduldig sind. Da kommen 27-Jährige und sagen: „Die Firmen verändern sich nicht.” Aber sorry, die Unternehmen gibt‘s seit 250 Jahren – du bist erst seit 1 Jahr in der Bude. Also: Komm mal runter.

Welchen Tipp gibst du jungen Absolvent*innen?

Die einzige Sicherheit, die du hast, bist du. Mach den nächsten Schritt, anstatt die Verantwortung für dein Leben jemand anderem zu geben. Sei nicht geschockt, wenn ein Plan nicht funktioniert. Klar fühlst du bei einer Lebensabzweigung Unsicherheit. Halte das Gefühl einfach aus. Bis zur nächsten Abbiegung kannst du deine Beziehungen mit wichtigen Menschen intensivieren. Du kannst gut auf dich schauen, Vertrauen in das Leben aufbauen und Schritt für Schritt vorangehen. Und wenn die nächste Chance dann kommt, bist du „ready“.

Vielen Dank für das Gespräch!

Foto Ali Mahlodji

© olivialaura.at


Auf diese Frage hätte ich gerne eine Antwort:
Gibt es Außerirdische?

Diese Superkraft möchte ich haben:
Viel schneller und öfter weinen zu können. Ich habe erst mit 40 Jahren gelernt, richtig zu weinen. Es ist das Heilsamste fürs Leben.

Mit ihr würde ich gerne zu Abend essen:
Mit meiner 5-jährigen Tochter. Sie ist der spannendste Mensch auf der Welt.

Ich in 3 Worten:
Authentisch, Leadership und Impact/Inspiration – die Abkürzung von Ali.

Brigitte Kuchenbecker

Brigitte arbeitet seit elf Jahren für das ZBP. Ihre Leidenschaften sind das Schreiben und die Personalarbeit – umso besser, dass sie als Chefredakteurin des Karrieremagazins und Autorin des Blogs beide Interessen vereinen kann. In ihrer Freizeit findet man sie in der Natur: beim Wandern, Klettern oder Garteln.

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