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Warum träumen wir im Schlaf? Und träumen wir, auch wenn wir uns am nächsten Morgen nicht daran erinnern? Am Institut für Bewusstseins- und Traumforschung habe ich mich im Frühjahr 2019 mit Dr. Brigitte Holzinger über die medizinische und wissenschaftliche Sicht von Schlaf und Traum unterhalten.

Was sind Träume aus Sicht der Forschung?

Träume sind, wie ich zu sagen pflege, Gefühle und Empfindungen in bewegten Bildern dargestellt. Den Tagtraum sehe ich als Wachfantasie. Der Traum im Schlaf ist für mich eine Nachtfantasie, die unter bestimmten Bedingungen, vermutlich des REM-Schlafs – ein spezifisches Schlafstadium mit schnellen Augenbewegungen (Rapid Eye Movements) –, passiert. Hier träumt man wahrscheinlich immer, selbst wenn man sich nicht daran erinnert.

Warum träumen wir?

Meiner Meinung nach ist Träumen ein sinnliches Ereignis, eine Art Verarbeitung von sinnlich Erfahrenem, wobei Gefühle mitinvolviert sein müssen. Insbesondere im REM-Schlaf spielen Emotionen eine große Rolle. Das sieht man in der Schlafforschung vor allem an der Aktivität der Amygdala, dem Zentrum der starken Gefühle. Im Traum geht es weniger um die Ratio, es gibt wenige Zensoren und Wachelemente und ich bin sozusagen im Urpool der Kreativität. Der Traum dient dem Filtern und Verarbeiten von dem, was wir tagsüber über unsere Sinne wahr- und aufgenommen haben. Wir speichern Erfahrungen ab und gehen am nächsten Tag reicher in die Welt hinaus. Dadurch lernen wir – unser Gedächtnis etabliert sich. Wenn man sich also vor Prüfungen am Abend ganz relaxed mit dem Stoff beschäftigt, kann das wirklich helfen. Und ich muss die Inhalte noch nicht einmal verstanden haben – verstehen tue ich es dann eh in der Nacht (lacht).

Gibt es Richtwerte, wie viel man schlafen soll?

Die Schlafforschung ist eine junge Disziplin und die Forschungsergebnisse ändern sich hier laufend. Heute sagt man, dass es mindestens sieben bis acht Stunden Schlaf pro Tag sein sollten – möglichst am Stück oder gut getimed, wie es zum Beispiel in der Siesta-Kultur ist, in der ja in zwei Portionen geschlafen wird. Es gibt Schlafzyklen, also Rhythmen, die ca. eineinhalb Stunden lang sind. In diesen durchlaufen wir alle Schlafphasen inklusive dem REM-Schlaf.

Wie wirkt sich zu wenig Schlaf aus?

Wie wichtig ein guter Schlaf ist, merkt man wahrscheinlich erst, wenn man über eine längere Zeit Ein- oder Durchschlafprobleme hat. Dann wird man fahriger und emotional wenig ausgeglichen sein. Außerdem leiden die Konzentration und die Entscheidungsfähigkeit. Und natürlich ist ausreichender Schlaf auch für die Gesundheit extrem wichtig und senkt zum Beispiel das Herzinfarkt- oder Schlaganfallrisiko. In einen gesunden Schlaf zu investieren, macht also absolut Sinn – sowohl für Betriebe als auch für den Einzelnen.

Schlafen und Träumen hilft mir also auch bei der Produktivität?

Ja. Ausgeschlafen treffen wir die besseren Entscheidungen, weil wir ausgeglichen sind. Wir alle kennen das: oft schaut am Morgen nach einem Streit die Welt schon wieder ganz anders aus. Der Volksmund sagt: „Schlaf doch eine Nacht darüber“ – da ist schon etwas Wahres dran.

Wobei es ja Träume gibt, die sehr aufwühlend sind. Alpträume zum Beispiel?

Der Alptraum ist ein Spezialfall. Aber auch wenn wir etwas im Traum als ängstigend oder ärgerlich erleben, ist das nichts Dramatisches. Auch so verarbeiten wir Geschehenes. Allerdings zeigt ein Alptraum, dass wir einen Prozess noch nicht abschließen können – die Ursachen dafür liegen manchmal sogar in der Kindheit.

Sollen wir Träume interpretieren, um sie zu verstehen?

Ich würde Träume nicht unbedingt in ihrer Symbolik interpretieren, sondern sie einfach wirken lassen. Das ist wie ein Kunstwerk – dieses betrachten wir auch ohne es gleich zu analysieren. Träumen ist etwas sehr Sinnliches. Wenn wir unsere Träume von Kindheit an würdigen würden, hätten wir ein ganzes Leben lang eine Riesenbereicherung.

Wie passt die Idee des Traumjobs in die Traumforschung?

Die Idee des Träumens ist, uns schrittweise mehr und mehr zu uns selbst zu führen. Also auch zu dem, was man eigentlich will oder wofür man bestens geeignet ist. Und je mehr ich mit dieser Traumwelt in Kontakt bin und einen Bezug zu mir selbst habe, desto deutlicher wird mir sein, was mir im Leben wichtig ist. Denn dann kenne ich mich besser. Und wie gesagt, es geht nicht um Symbolik, sondern um Gefühle und Sinneswahrnehmungen. Es geht nicht um das Denken, sondern um das Fühlen.

Das heißt, wir sollen Träumen und Schlafen genügend Raum geben?

Ja. Ich würde den Schlaf sogar würdigen. Denn es spielt eine große Rolle, was ich vom Schlafen halte: Ist es etwas Schönes oder unnötig? Ist mein Schlafzimmer gemütlich und schön gestaltet? Fühle ich mich sicher? Wir haben auch im Schlaf so viele Sinne und Aufmerksamkeitsleitungen. Um mich wirklich erholen zu können, ist es wichtig, dass ich mich geborgen fühle.

Welchen Tipp geben Sie, um das Träumen zu fördern?

Mein Lieblingstipp ist, Träume aufzuschreiben und ein Traumtagebuch zu führen. Einfach das aufschreiben, was man sich gemerkt hat – und wenn es nur eine Farbe ist. Es fördert das Träumen ungemein, wenn man die Aufmerksamkeit darauf lenkt. Das ist ganz erstaunlich.

Vielen Dank für das Gespräch!

Brigitte Kuchenbecker

Brigitte arbeitet seit elf Jahren für das ZBP. Ihre Leidenschaften sind das Schreiben und die Personalarbeit – umso besser, dass sie als Chefredakteurin des Karrieremagazins und Autorin des Blogs beide Interessen vereinen kann. In ihrer Freizeit findet man sie in der Natur: beim Wandern, Klettern oder Garteln.

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