Bild: © Cochic Photography

Schauplatz HappyFoto-Produktion in Oberösterreich. Die Maschinen des österreichischen Familienunternehmens rattern, die Buchdeckel der vielen bunten Fotobücher lassen erahnen, welche Erinnerungen hier festgehalten wurden: Hochzeiten, Urlaube, die ersten Kinderjahre. „Pro Jahr werden hier mehr als 700.000 Fotobücher gefertigt“, erklärt Marlene Kittel, WU Absolventin und seit 2020 alleinige Geschäftsführerin in zweiter Generation.

Sie strahlt – und diese positive Energie spürt man im gesamten Unternehmen. „Wir sind ein Familienbetrieb und unsere Mitarbeiter/innen zählen zur erweiterten HappyFoto-Familie. Jede hilft jedem. Und wenn es Engpässe gibt, wie zum Beispiel im Weihnachtsgeschäft 2020, dann stehen mein Vater und ich auch in der Produktion und packen beispielsweise Foto-Puzzles ein“, schmunzelt Marlene.

Wie war dein Weg in die Geschäftsführung des Familienunternehmens?

Bei uns war schon sehr früh klar, dass ich einmal in die Firma einsteigen werde. Meine beiden Geschwister haben als Ärztin und Inhaber einer Marketingagentur andere Wege eingeschlagen und mich als Wirtschaftsstudentin hat die Idee, den Betrieb weiterzuführen, immer interessiert. 2009 kam während meines Auslandssemesters in Boston der Anruf meines Vaters: „Marlene, wir verdoppeln die Produktionsfläche. Hast du Interesse, das Unternehmen später einmal zu übernehmen?“ Ich war damals 21 Jahre alt, habe es mir gut überlegt und nach meiner Rückkehr zugesagt. Allerdings wollte ich noch das Bachelorstudium beenden, einen Master machen und 3 bis 5 Jahre in einem anderen Unternehmen arbeiten. Mir war es wichtig, dass ich auch andere Firmen von „innen“ sehe, um diese Erfahrungen in unser Unternehmen einzubringen.

Du bist also nicht gleich nach der Anfrage in die Geschäftsführung eingestiegen?

Nein, aber mein Vater und ich waren immer eng verbunden. Mein Vater hat in den 5 Jahren vor meinem Einstieg keine langfristigen Verträge mehr ohne mich abgeschlossen. Er meinte immer: „Marlene, im Endeffekt musst du es dann ausbaden und ich unterschreibe nichts allein, was letztendlich Auswirkungen auf dich hat.“ Außerdem habe ich mir während meiner Zeit in der Unternehmensberatung 2 Sabbaticals genommen, um meinen Vater im Betrieb zu unterstützen. Einmal hat unser E-Business-Leiter gekündigt, um studieren zu gehen, und während wir eine Nachfolge suchten, habe ich die Abteilung interimsmäßig geleitet. Das andere Mal ging es um ein IT-Projekt, wo mein Vater meine Unterstützung brauchte.

Wie ist das heute? Ist dein Vater noch operativ tätig?

Mein Vater hat sich 2020 operativ zurückgezogen. Davor haben wir die Geschäftsführung 3 Jahre lang gemeinsam gemacht – dabei habe ich die Bereiche Kundendienst, IT und E-Business geleitet. Unsere letzte große, gemeinsame Herausforderung war eine komplette Umstellung der IT – mein Vater meinte, das sei mein Meisterstück (lacht). Wir haben damals alle IT-Systeme – die Website für 4 Länder, die Produktions- und Kundendienstsysteme (CRM, ERP, MES), die Bestellprogramme, die Serverstruktur, die Verrechnungsapplikation und noch vieles mehr – innerhalb von 6 Monaten neu programmieren lassen und mit einem Big-Bang-Approach auf einen Schlag getauscht. Das ist ein riesiges Projekt bei einem Unternehmen, bei dem 99,5 Prozent der Bestellungen über das Internet kommen. Aber es hat alles super geklappt, ich habe meine „Meisterprüfung“ bestanden (lacht) und seit 1. Februar 2020 bin ich alleinige Geschäftsführerin.

Und dann kam gleich Corona …

Genau, 6 Wochen später kam der Lockdown – die nächste, noch größere Herausforderung. Und Corona hat uns hart getroffen. Im März und April 2020 haben wir zwar einen Aufschwung erlebt – viele Leute nutzten die erste Zeit daheim zur Erstellung von Fotobüchern –, aber irgendwann waren die ganzen Motive aufgebraucht. Und es folgten keine nach – es gab schließlich ein Jahr lang keine Urlaube, Hochzeiten, Erstkommunionen oder Taufen. Im Spätsommer und Herbst 2020 waren wir mit der Produktion und dem Kundendienst also in Kurzarbeit. Dafür war das Weihnachtsgeschäft erfreulich gut. Im November und Dezember ist bei uns sowieso immer Hochsaison: Knapp 40 Prozent des Jahresumsatzes machen wir in den 6 Wochen vor Weihnachten. Und 2020 war sogar die beste Weihnachtssaison in der mehr als 40-jährigen Firmengeschichte – darüber haben wir uns nach dem Minus im Sommer besonders gefreut.

Sprecht ihr daheim heute noch viel über den Betrieb?

Wir geben uns Mühe, dass wir bei einem gemeinsamen Essen nicht über die Firma reden – das funktioniert aber nicht immer (lacht). Mit meinem Vater, der ja noch immer Eigentümer ist, habe ich aber sowieso regelmäßige Jours fixes. Außerdem haben wir eine Tradition: Strategische Themen besprechen wir gerne bei einem Spaziergang. Dann schnappen wir unseren Dackel, gehen in den Wald und bereden wichtige Entscheidungen.

Du kennst den Betrieb ja wirklich von der Pike auf. Und gerade im Bereich der Fotografie gab es in den letzten Jahren doch immense Entwicklungen. Wie hast du diese erlebt?

Als mein Vater 1978 das Unternehmen gründete, war alles noch komplett anders – es gab weder Handys noch hätte man sich vorstellen können, jemals mit dem Telefon zu fotografieren (lacht). Damals hat mein Vater die Entwicklung von Luftbildaufnahmen angeboten – wahrscheinlich haben wir alle schon einmal ein Foto von einem Bauernhof von oben gesehen. Ende der 80er Jahre kam dann die Fotoentwicklung per Postversand, dann folgten die digitale Fotografie und das Internet. Mein Vater hatte hier sehr oft den richtigen Riecher – ich hoffe, er hat ihn mir vererbt. Denn wir waren die ersten, die ein digitales Foto-Upload-Service am heimischen Markt angeboten haben. Außerdem hat mein Vater das Fotobuch nach Österreich geholt. Aktuell bin ich sehr stolz, dass im November 2020 mein jüngstes Projekt live gegangen ist: die HappyFoto-„smart moments“-App für iOS und Android, die mit künstlicher Intelligenz am Gerät die Fotos analysiert und eigenständig die besten Motive auswählt. Denn wer nimmt sich schon gerne die Zeit, aus 10 fast identen Fotos das beste auszusuchen?  Aber die Schnelllebigkeit in der Branche ist auf jeden Fall eine große Herausforderung.

Wie war es als „Tochter vom Chef“ die Führung zu übernehmen?

Mein Vater hatte den Grundsatz: Wer sich was leisten möchte, muss auch etwas leisten. Also haben meine Geschwister und ich schon von klein auf im Sommer im Betrieb mitgeholfen und so unser Taschengeld verdient. Außerdem möchte man als Tochter ja wissen, was der Papa so macht (lacht). Viele Mitarbeiter/innen kennen mich also schon sehr, sehr lange. Der Übergang in die Geschäftsführung ging schließlich vollkommen problemlos. Und ich bin nach wie vor mit allen per Du.

Wie kann ich mir deinen typischen Arbeitstag vorstellen?

In der Regel starte ich zwischen 7 und 8 Uhr. Mein erster Weg führt immer in die Produktion – dort schaue ich, ob alle Maschinen laufen, und spreche mit unserem Produktionsleiter Roman. Danach geht es ab ins Büro zum Beantworten der E-Mails und zum Abarbeiten meiner To-do-Listen. Ich bin ein Fan von physischen To-do-Listen, denn dann kann man Erledigtes durchstreichen – wobei die Listen im Laufe des Tages meist länger anstatt kürzer werden (lacht). Auch Meetings sind vorzubereiten. Denn neben der Geschäftsführung leite ich auch das Projekt „smart moments“ – hier bin ich auch operativ tief involviert. Bei mir gleicht kein Tag dem anderen – aber genau das ist es ja, was meine Arbeit so spannend für mich macht.

Was hast du von deinem WU Studium in dein heutiges Arbeitsleben mitnehmen können?

Das Wissen, wie ich in einem Team zusammenarbeite und mit verschiedenen Herausforderungen umgehen kann, hat mir viel gebracht. Denn Gruppen- und Projektarbeiten werden heutzutage immer wichtiger – und darauf wurde ja auch im Studium an der WU viel Wert gelegt.

Hast du neben deiner Tätigkeit als Geschäftsführerin noch Zeit für Hobbies?

Natürlich – ich brauche ja einen Ausgleich zur Arbeit. Normalerweise ist Tauchen meine große Energiequelle. Ich bin ein riesiger Fan von Großfischtauchen, etwa mit Haien oder Mantarochen. Letztes Jahr war eine Tauchreise coronabedingt natürlich nicht möglich, dafür habe ich meine Leidenschaft für Laufen und Wandern entdeckt. Das hilft mir, meinen Kopf freizubekommen, und gibt mir Kraft. Mein Ziel ist, heuer 33 Gipfel zu besteigen – schließlich bin ich heuer 33 Jahre alt geworden. 29 sind schon geschafft und somit ist das Ziel in greifbarer Nähe.

Welche Tipps hast du für Studierende, die ins Berufsleben einsteigen?

Nur was man gerne macht, macht man auch gut. Wenn man im Job mit ganzem Herzen dabei ist, kann man langfristig glücklich werden. Also nicht deshalb einen Job wählen, weil er am Papier gut aussieht oder es externe Erwartungshaltungen gibt, sondern weil man ihn wirklich spannend findet.

Vielen Dank für das Gespräch!

Brigitte Kuchenbecker

Brigitte arbeitet seit elf Jahren für das ZBP. Ihre Leidenschaften sind das Schreiben und die Personalarbeit – umso besser, dass sie als Chefredakteurin des Karrieremagazins und Autorin des Blogs beide Interessen vereinen kann. In ihrer Freizeit findet man sie in der Natur: beim Wandern, Klettern oder Garteln.

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