„Dieser ,EU spirit’ macht für mich die Arbeit zu mehr als bloß einem normalen Job“ – Yasemin Canbay arbeitet in Brüssel in einer Task-Force, die als Antwort auf die Corona-Pandemie ins Leben gerufen wurde, um die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen abzufedern und uns besser auf den ökologischen und digitalen Wandel vorzubereiten. Im Interview erzählt sie von Ihren Aufgaben.

Wie hast du dein WU Studium in Erinnerung und wie hat es dich auf deine spätere Laufbahn vorbereitet?

Ich habe sowohl meinen Bachelor „Betriebswirtschaft“ als auch meinen Master „Steuern und Rechnungslegung“ an der WU absolviert und das WU Studium alles in allem sehr positiv in Erinnerung behalten. Retrospektiv betrachtet finde ich, dass es mich gut auf den Berufseinstieg vorbereitet hat, da das Studium an sich ziemlich praxisnah gestaltet ist – vor allem der Master. Ich hätte mir dennoch gewünscht, dass kritisches Denken ein bisschen mehr im Vordergrund steht. Besonders gut finde ich im Rückblick die vielen Gruppenarbeiten und dass man lernt, wie man sich selbst organisiert. Denn meiner Meinung nach ist Teamfähigkeit entscheidend für das Berufsleben. Genauso wichtig sind etwas Eigenständigkeit und die Fähigkeit, sich selbst zurechtzufinden sowie zu wissen, wann es notwendig ist, jemanden um Hilfe zu fragen. In der Hinsicht bereitet die WU Studierende schon ganz gut auf das Arbeitsleben vor.

Wie bist du zur EU gekommen?

Ich wollte schon immer in einem internationalen Umfeld arbeiten und habe mich unter anderem auch deswegen für das WU Studium entschieden. Während meines Master-Studiums habe ich mich dann nach konkreten Möglichkeiten umgesehen, ins Ausland zu gehen, und nach Praktika bei internationalen Organisationen und Thinktanks gesucht, die meinem Profil entsprechen. Dabei bin ich auch auf die EU gekommen. Der Bewerbungsprozess für das Blue-Book-Praktikum in der Europäischen Kommission ist relativ zentralisiert und man kann sich zweimal pro Jahr bewerben. Sie haben vor kurzem das Bewerbungsverfahren geändert, daher läuft der Prozess etwas anders ab als bei mir damals. Ich hatte mich für die Session im Oktober 2020 erfolgreich beworben und bin dann relativ unerwartet mitten während der Pandemie nach Brüssel gezogen. Nach meinem Praktikum hat sich für mich die Möglichkeit ergeben, bei der EU-Kommission zu bleiben, und ich arbeite seitdem im Generalsekretariat, in der Task-Force für die Aufbau- und Resilienzfazilität.

Was sind deine Aufgaben und wie sieht dein beruflicher Alltag aus?

Bei mir schaut jeder Arbeitstag etwas anders aus – ich arbeite in einer Task-Force an einem komplett neuen EU-Programm, das als Antwort auf die Corona-Pandemie ins Leben gerufen wurde, um die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen abzufedern und uns besser auf den ökologischen und digitalen Wandel vorzubereiten. Daher arbeite ich viel mit Behörden in allen 27 EU-Mitgliedstaaten zusammen. Grundsätzlich bin ich für die Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union zuständig und daher ist mein beruflicher Alltag relativ nah am politischen Geschehen. Ich folge den Diskussionen in den unterschiedlichen Foren und analysiere die Auswirkungen auf unsere Arbeit in der Europäischen Kommission. Ich habe mich schon immer für das Politische begeistern können, daher finde ich es faszinierend, in diesem Bereich zu arbeiten. Außerdem sitze ich oft in Verhandlungen mit den 27 EU-Mitgliedstaaten, die Teil unseres EU-Programmes sind, und bereite dafür Materialien und interne Positionspapiere vor. Ansonsten schaut mein beruflicher Alltag wohl wie bei vielen anderen aus – ich sitze viel in Besprechungen und tausche mich mit Kolleg*innen aus.

Was zeichnet die EU als Arbeitgeber aus?

Die EU ist jedenfalls ein sehr internationaler und dynamischer Arbeitgeber. Ich finde es extrem bereichernd, mit Kolleg*innen zusammenzuarbeiten, die aus allen EU-Ländern kommen und einen so unterschiedlichen Background haben. Im Vergleich zu anderen Teilen der EU-Kommission ist meine Arbeit in der Task-Force sehr politisch geprägt und auch vom tagespolitischen Geschehen stark beeinflusst. Wenn ich das mit meinen vorherigen Jobs vergleiche, ist das wohl der größte Unterschied. Ich habe davor im Consulting und im akademischen Bereich an der WU gearbeitet. Darüber hinaus zeichnet die Arbeit in der EU aus, dass man viel mit Expert*innen aus vielen verschiedenen Bereichen zusammenarbeitet und gemeinsam innovative und kreative Lösungen finden muss. Meiner Meinung nach ist außerdem besonders, dass die Kolleg*innen sehr stark intrinsisch motiviert sind und in der EU arbeiten, weil sie etwas in unserer Gesellschaft bewegen wollen. Dieser „EU spirit“ macht für mich die Arbeit zu mehr als bloß einem normalen Job.

Was sollte man mitbringen, wenn man für die EU arbeiten möchte?

Man sollte auf jeden Fall ein*e Teamplayer*in sein und ein gewisses Maß an interkulturellem Verständnis mitbringen. In der EU hat man viel mit Leuten aus der ganzen Welt zu tun und Empathie-Fähigkeit ist meiner Meinung nach entscheidend, um hier erfolgreich zusammenarbeiten zu können. Außerdem sollte man flexibel einsetzbar sein und die Fähigkeit haben, sich schnell in neue Themengebiete einzuarbeiten. Es gibt zwar verschiedene Karrierewege innerhalb der EU – sowohl als Generalist*in als auch als Expert*in -, aber am Ende arbeitet man meist interdisziplinär mit Expert*innen aus unterschiedlichen Feldern zusammen, da viele EU-Programme Querschnittsbereiche sind. Zudem wird unsere Gesellschaft immer komplexer und das spiegelt sich auch in der Arbeit auf EU-Ebene wider – da hilft es schon, wenn man über den Tellerrand hinausdenken kann und innovative Lösungsansätze hat. Daher sucht man innerhalb der EU-Institutionen auch Bewerber*innen mit ganz unterschiedlichen Profilen und Studienabschlüssen.

Hast du Tipps für jene, die eine Karriere bei der EU anstreben?

Berufserfahrung sammeln! Man kann bei allen EU-Institutionen Praktika machen und das kann ein gutes Sprungbrett für eine Karriere bei der EU sein. Da die EU-Institutionen aber sehr kompetitiv sind und man sich gegen zahlreiche Bewerber*innen aus allen EU-Ländern durchsetzen muss, hilft es enorm, wenn man bereits vorher Arbeitserfahrung gesammelt hat. Und Networken und sich bei anderen umhören! Oft findet man so erst heraus, was für andere Möglichkeiten es noch gibt, die man vielleicht noch gar nicht in Betracht gezogen hat. Außerdem sollte man sich nicht von der Anzahl der Bewerber*innen einschüchtern lassen und es einfach versuchen.

Bild: © privat


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Ich in 3 Worten: weltoffen, wissbegierig, fürsorglich

Brigitte Kuchenbecker

Brigitte arbeitet seit elf Jahren für das ZBP. Ihre Leidenschaften sind das Schreiben und die Personalarbeit – umso besser, dass sie als Chefredakteurin des Karrieremagazins und Autorin des Blogs beide Interessen vereinen kann. In ihrer Freizeit findet man sie in der Natur: beim Wandern, Klettern oder Garteln.

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