Foto: © Cochic Photography

Es ist ein idyllischer Tag im Burgenland. Wir treffen uns in einem 430 Jahre alten Winzerhof, den Sarah Spiekermann mit ihrem Mann liebevoll restauriert hat. Dort leben sie gemeinsam mit Hund Tobi und Kater Pauli. „Ich schätze die Gartenarbeit und das Leben in der Natur“, sagt die Institutsvorständin für Wirtschaftsinformatik & Gesellschaft im Interview. Man spürt die besondere Atmosphäre und die Bodenständigkeit an diesem naturverbundenen Ort. High-Tech findet man hier nicht. Dafür eine alte Rauchkuchl, viele Altbäume und Naturstein. Hier reden wir über künstliche Intelligenz und wie sie die Arbeitswelt, Jobs und die Wirtschaft an sich verändern wird.

ChatGPT hat heuer eingeschlagen. KI ist in aller Munde. Aber viele Fragen sind offen. Inwieweit wird sich künstliche Intelligenz auf Jobmarkt, Bewerbung & Co auswirken?

Die Frage ist immer: Soll ich die KI nutzen oder nicht – für das Studium, für das Arbeitsleben, für die Bewerbung? Die Versuchung ist groß! Aber weder lerne ich dabei, noch zeige ich mein Können, wenn mir die KI das Schreiben der Seminararbeit oder der Bewerbung abnimmt. Wenn ich nicht den Willen habe, selbst zu formulieren und selbst Einschätzungen zu treffen – wozu habe ich dann studiert?

Wie „mächtig“ ist die heutige KI denn wirklich?

Sie ist mächtig – aber  technisch umstritten und von KI-Expert*innen aus vielen Gründen kritisiert. Aber mächtig insofern, weil sie so gut formuliert, so gut Sachverhalte darstellt und auf so viele Quellen zugreifen kann. Aber sie basiert rein auf Wahrscheinlichkeiten. Wir haben es hier mit einem „Natural Language Processing“- und nicht mit einem „Natural Language Understanding“-System zu tun. Diese KI, die wir da vor uns haben, hat überhaupt nichts mit menschlichem Denken, Wissen oder Bewusstsein zu tun. Es ist ein „stochastischer Papagei“, wie KI-Forschende sagen.

Wenden Sie selbst KI an?

Ja, ich illustriere meine Vorlesungen mit Midjourney. Und ich habe auch ChatGPT ausprobiert. Das ist beeindruckend. Aber dennoch erzählt die KI auch oft Sachen, die nicht stimmen – obgleich sie wahrscheinlich sind. Und das ist für jene, die es benutzen, gefährlich: Wer Antworten und Ratschläge von KI einfach weiter nutzt, kann sich schnell lächerlich machen.

Für mich hört sich das so an, als ob die KI Berufe zwar unterstützt, aber noch nicht ersetzt?

Eins ist sicher: Wir gehen aus einer Zeit der repetitiven Berufe raus – Verwaltung, einfache Text- oder Grafikerstellung werden durch die KI stark entlastet. Diese Berufe werden zwar nicht ganz aussterben, aber sie werden weniger zeitintensiv. Und folglich wird es hier in Zukunft weniger Stellen geben. Ein Unternehmen braucht keine Expert*innen für Wirtschaftsenglisch und Kommunikation mehr, wenn die Sachbearbeiter*innen mit ChatGPT die eigenen Texte schnell vorschreiben können. Die WU muss sich auf eine Zukunft vorbereiten, in der sie Menschen ausbildet, die noch gebraucht werden. Ein erster Schritt hierfür wäre meiner Meinung nach jede Maßnahme, die unterstützt, dass unsere Studierenden sich besser konzentrieren und selbstständiger denken können als die Konkurrenz. Auch wenn das auf den ersten Blick nicht verknüpft erscheint, aber ein Handyverbot am Campus wäre da ein erster Schritt.

Ein Handyverbot am Campus?

Ja! Nur diejenigen können in Zukunft noch im Wettbewerb bestehen, die ihr Bewusstsein, ihren Geist, ihre Kreativität und ihre Zeit im Griff haben und wirklich unabhängig von den technischen Medien sind. Die geistige Aufmerksamkeit der Studierenden muss sich auf den WU Stoff und die Menschen dort konzentrieren können und darf sich nicht in sozialen Medien verlieren. Die WU bietet Studierenden ja einen Lebensrahmen: man lernt, liest, spricht, studiert, verliebt sich und knüpft Freundschaften am Campus. Aber wenn man die Hälfte der Zeit auf Social Media verbringt, auf dem Smartphone herumdrückt oder in den Computer schaut, funktioniert das nicht.

Also eine Welt mit weniger digitalen Medien?

Ich sage ja nicht, dass man nie Internet benutzen soll – Home-Office, die digitale Lehre, das Recherchieren für Seminararbeiten: Hier ist das digitale Medium wichtig! Aber man braucht eine intelligentere Art, das Digitale in ein analoges Leben einzubetten. Ich nutze digitale Medien: Ich koordiniere alles über mein Smartphone, schreibe ein Blog „Die Ethische Maschine“ auf standard.at und poste 2- bis 3-mal im Monat auf Twitter und LinkedIn. Aber ich schenke neben 1 Stunde E-Mails am Tag, Social Media sicherlich nicht mehr als 2 Stunden pro Monat. Social Media und das Smartphone sind meine Werkzeuge und nicht mein Leben. Man muss sich entscheiden, wem man die eigene Zeit schenkt.

KI und die Zukunft – wie wird es weitergehen?

Die erwartete Zukunft baut auf eine digitale Transformation. Wenn wir diese durchziehen können, werden wir sehr schnell Sprachassistent*innen im Ohr haben, die auf Sprach-KIs aufbauen – ähnlich wie Alexa oder Siri. Diese werden tief in wirtschaftliche Prozesse, das Arbeits- und Privatleben eingreifen und in gewisser Weise bestimmen, was Menschen denken. Wir werden feststellen, dass wir eine neue, digitale Bevölkerungsschicht mit uns herumtragen. Aber ich glaube, die realistische Zukunft ist eine andere …

Inwiefern?

Ich persönlich glaube, dass die Digitalisierung in den nächsten Jahren in eine sehr schwierige Phase eintreten wird. Wir befinden uns in einem geopolitischen und ökologischen Umfeld, in dem wir uns Digitalisierung kaum noch leisten werden können. Die Kosten für die Energie und den Bau von IT werden aufgrund der immer weiter erhöhten Rohstoff- und Energiepreise so nicht mehr zu tragen sein. Die Frage ist, ob wir nicht schon angefangen haben, einen Ressourcenkrieg zu führen, denn es sind unsere geopolitischen Gegenüber, China, Russland und die Wagner-Truppe in Afrika, die sich zunehmend die Ressourcen sichern, die wir für unsere IT brauchen. Gleichzeitig sind in unserer westlichen Welt – die Wirtschaft, Politik, Führungskräfte – alle besessen von KI. KI scheint mir manchmal wie ein Fetisch. Die Frage ist aber, wie viel uns dieser noch kosten wird.

Gibt es außer KI, die uns einflüstert, was wir machen sollen, und Krieg über Ressourcen noch eine andere Option?

Die andere Strategie ist komplett umzudenken: Insbesondere brauchen wir eine nüchterne und realistische Einschätzung darüber, was wir von KI wollen. Was soll das denn eigentlich mit dem Digitalisierungs-Hype? Soll ich mein ganzes Leben lang Katzenvideos anschauen, anstatt selbst eine Katze zu haben? Das ist doch bescheuert.

Wie können sich Studierende, die jetzt in den Job einsteigen, auf diese Welt vorbereiten?

Es geht nicht mehr um die Schale, die Oberfläche, das Sich-Verkaufen. Sondern es geht jetzt fundamental darum, jemand zu sein und für etwas zu stehen. An dieser Stelle gibt es auch eine riesige Chance: Talente sind heute nicht mehr diejenigen, die gut reden und schreiben können – die letzten 20 Jahre waren ja eine reine Verkaufs-Show. Talente sind auch nicht mehr diejenigen, die abhängig von KI sind und ihre Zeit auf Social Media verplempern. Vielmehr sind Talente heute die, die etwas zu bieten haben. Die wirklich etwas im Kopf haben und die vor allem etwas können, ob programmieren, logisch denken oder mit den Händen etwas anstellen können. Junge Menschen, die wissen, wofür sie in der Gesellschaft stehen.

Welchen Tipp geben Sie Studierenden?

Unbedingt die Frage stellen: Welchen Sinn verfolge ich mit meinem Leben? Lebe ich in meiner Ausbildung oder auf der Arbeit die Werte, die mir wichtig sind? Arbeite ich am Arbeitsplatz oder in meinen Studienarbeiten für eine Mission und eine Weltsicht, hinter der ich zu 100 Prozent stehe? Kann ich mein wirtschaftliches Know-how in gute Visionen für unsere Zukunft einbringen? Ich rate außerdem heute jedem jungen Menschen zu einer dualen Ausbildung: das heißt zu einer handwerklichen Grundausbildung vor dem Studium. Das wäre so spannend für viele. Denn unsere angestammte Art, Unternehmensführung und Management zu denken, bewegt sich in einem Fortschrittsmodell, das nicht tragfähig ist. Es ist zu abgekoppelt von den lebensnahen Wirklichkeiten der Ökonomie. Permanentes Wachstum und liberalisierte Geldmärkte gehen sich darüber hinaus weder ökologisch noch gesellschaftlich aus. Die gegenwärtigen Entwicklungen werden uns in den nächsten 30 Jahren in eine neue Form von Ökonomie zwingen, in der konkretes handwerkliches Können und Selber-Denken neben einem nüchternen betriebswirtschaftlichen Verstand wieder hoch im Kurs stehen werden. Eine WU, die das antizipiert und Schritte setzt, ihre Studierenden auf diese „umdenkbaren“ Veränderungen vorzubereiten, wird sich im Wettbewerb vom Mainstream positiv absetzen.

Vielen Dank für das Gespräch!


Das hätte ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst:  Dass ich mich sehr für Philosophie, Psychologie, Tiere und Gartenbau interessiere.

Mit dieser Person würde ich gerne zu Abend essen: Peter Thiel. Ich möchte erfahren, wie er die Welt und die Menschen wirklich sieht.

Auf diese Frage hätte ich gerne eine Antwort:  Gibt es ein Gesellschafts- und Ökonomiemodell, das dazu führt, dass Menschen ein wirklich menschengerechtes und auch konfliktfreieres Leben führen können?

Ich in 3 Worten: Authentizität, Mut und Liebe für die natürlichen Dinge.

Brigitte Kuchenbecker

Brigitte arbeitet seit elf Jahren für das ZBP. Ihre Leidenschaften sind das Schreiben und die Personalarbeit – umso besser, dass sie als Chefredakteurin des Karrieremagazins und Autorin des Blogs beide Interessen vereinen kann. In ihrer Freizeit findet man sie in der Natur: beim Wandern, Klettern oder Garteln.

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