Bild: © Andreas Kowacsik

Dieses Interview ist schon ein Weilchen her – und doch noch brandaktuell. Denn auch knapp vor Weihnachten 2021, im Lockdown, liefen bei „Rat auf Draht“ die Telefone heiß und es herrschte Dauereinsatz. „Wir sind in Zeiten der Unsicherheit eine wichtige Anlaufstelle für Kinder, Jugendliche und deren Eltern“, erklärt Nora Deinhammer, Geschäftsführerin von SOS Kinderdorf und Rat auf Draht. „Unser Ziel ist es, Jugendlichen das Gefühl zu geben, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen können. Wir möchten die Stärken der Kinder stärken und ihnen zeigen, dass alles Negative immer auch eine positive Seite hat.“ Dies wird ein Gespräch über Vielfalt, den Mut, Chancen zu ergreifen, und kritische Fragen.  

Ihre Karriere ist sehr vielfältig – zuerst Marktforschung, dann Telekommunikation und nun im NPO-Bereich. Wie kam es dazu?  

In meinem Leben war nichts geplant, die Dinge haben sich ergeben – sicherlich auch deshalb, weil ich immer offen für neue Wege war. Hier kommt mir meine Neugierde sehr zugute: Neues reizt mich, anstatt dass es mich ängstigt. So war ich immer offen für Chancen und Möglichkeiten. Wenn ich mir unsicher war, welchen Weg ich einschlagen sollte, habe ich mir diese Frage gestellt: Wenn ich in 10 Jahren auf diese Möglichkeit zurückblicke, werde ich mir dann einen Vorwurf machen, dass ich sie nicht probiert habe? Dann wurde immer rasch klar, wohin die Reise weitergehen wird (lacht).

Sie kommen aus Linz. Warum sind Sie an die WU gegangen?

Ursprünglich hatte ich die Idee, mein Fremdsprachentalent mit einer Karriere im Tourismus zu kombinieren. So kam ich an die WU und habe Handelswissenschaften mit einer Spezialisierung in Tourismus und Freizeitwirtschaft studiert. Bei meiner Diplomarbeit über ein Regionalkonzept für Bad Tatzmannsdorf bin ich dann tief in die Empirie eingetaucht. Da ich sehr kontaktfreudig bin, hat es mir Spaß gemacht mit unterschiedlichen Menschen über unterschiedliche Blickwinkel zu reden und diese in der empirischen Forschung festzuhalten. Und da sich nach Studienabschluss keine andere Arbeitsstelle im Tourismus abzeichnete, bin ich gleich in der Marktforschung geblieben und bei der GfK eingestiegen …

Eine ganz andere Branche als heute mit SOS Kinderdorf …

Ja, absolut. Damals dachte ich mir: „Ich schau es mir einmal an und kann ja jederzeit wieder gehen, wenn ich etwas anderes finde.“ Daraus sind 8 Jahre bei der GfK geworden. Sicherlich auch deshalb, weil ich schnell viel Verantwortung übertragen bekommen habe. Ich habe ein sehr großes Vertrauen von meinem damaligen Chef genossen und bin ihm bis heute dankbar, dass er mir so viele Chancen gegeben hat. Wenn ich heute darauf zurückblicke, hat mich der erste Job sehr geprägt und mir das Rüstzeug, die Sicherheit und auch das Selbstvertrauen für die weiteren Karriereschritte gegeben.

Und dann ging es in die Telekommunikationsbranche?

Nach 8 Jahren war es Zeit, mich an etwas Neues zu wagen, um mich weiterentwickeln zu können. In der Telekommunikationsbranche war gerade die totale Aufbruchstimmung, alles war mit der Umstellung auf Handys und Mobilfunk sehr innovativ. Ich habe im Marketing der Mobilkom begonnen und bin dann rasch aufgestiegen: von der Mitarbeiterin zur Teamleiterin und dann Abteilungsleiterin. Dann kam die Fusion mit der Telekom: Es war eine sehr spannende Zeit, als die behäbige Telekomkultur mit der wendigen Mobilkomkultur aufeinanderprallte. Plötzlich hatte ich eine riesige Abteilung mit mehreren hundert Mitarbeiter*innen und konnte die Fusion aktiv mitgestalten. Ich habe unglaublich viel über Führung, den Umgang mit unterschiedlichen Mitarbeiter*innen und verschiedene Dynamiken gelernt.

Wie kam es letztlich zu dem Schritt zu SOS Kinderdorf, einem doch ganz anderen Unternehmensumfeld?

Nach der Fusion ist die A1 Telekom in die Sättigungsphase gekommen – jetzt ging es mehr um Effizienz und Kostenreduktion. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mir die Frage gestellt, ob es das ist, was ich kann und will. Denn eigentlich gestalte ich gerne. Ich mag es aufzubauen und zu entwickeln, aber nicht die letzte Effizienzsteigerung herauszuquetschen. Also habe ich begonnen, mich am Markt umzusehen. Vor 10 Jahren an einem grauen Novembernachmittag – ich weiß es noch ganz genau – habe ich schließlich die Ausschreibung von SOS Kinderdorf gefunden. Gesucht wurde eine Person mit Führungserfahrung, strategischer Denkweise und Weitblick und ich habe mich sofort angesprochen gefühlt. Allerdings hatte ich noch gar keine Erfahrung in der Branche, also habe ich die Anzeige vorerst wieder weggelegt. Nach ein paar Tagen habe ich mir schließlich gedacht: „Ist ja wurscht, probierst es halt. Mehr als eine Absage zu bekommen, kann eh nicht passieren.“ Es kam, wie es kommen sollte: 2 Tage später hatte ich die Antwort und nun bin ich seit 10 Jahren bei SOS Kinderdorf. Ich fühle mich total wohl – und vor allem passend!

Hat sich die Geschäftsführung von Rat auf Draht parallel dazu entwickelt?

Vielleicht lässt sich das durch die 2 unterschiedlichen Standorte erklären. SOS Kinderdorf sitzt eigentlich in Innsbruck, hat aber auch ein Büro in Wien. Als ich 2012 in die Organisation eingestiegen bin – damals noch nicht als Geschäftsführerin –, habe ich mir ausbedungen, dass ich neben Tirol auch viel in Wien sein möchte. Als SOS Kinderdorf 2014 die Trägerschaft von Rat auf Draht mit Sitz in Wien übernommen hat, habe ich schön langsam alle Termine hier übernommen. Und so habe ich dem damaligen Geschäftsführer Christian Moser den Vorschlag gemacht, dass ich gleich auch die Geschäftsführung übernehmen kann, da ich im Grunde die Agenden sowieso schon mache.

Also haben Sie sich selbst die Weichen dafür gelegt?

Ja, man muss sich auch einmal selbst etwas zutrauen, um einen neuen und veränderten Weg einzuschlagen. Aber natürlich braucht man auch den Zuspruch anderer und den habe ich in diesem Fall bekommen. Christian Moser hat mich sehr unterstützt.

Sie haben in vielen unterschiedlichen Bereichen und Branchen gearbeitet. Wann macht eine Arbeit Sinn für Sie?

Für mich macht eine Arbeit Sinn, wenn ich einen gesellschaftlichen Beitrag leiste. Das kann sein, indem ich meine Mitarbeiter*innen fördere, unterstütze und passende Rahmenbedingungen schaffe. Oder indem ich dazu beitrage, dass Kinder und Jugendliche gut aufwachsen und eine Stimme für ihre Bedürfnisse und Anforderungen bekommen. Seitdem ich bei SOS Kinderdorf bin, brauche ich mir die Frage nach dem Sinn sowieso gar nicht mehr zu stellen. Ich erlebe jede Anstrengung als etwas Positives. Und auch wenn definitiv nicht immer alles rosarot ist, wärmt der Gedanke, dass man einen Beitrag dazu leistet, die Ungleichheiten in der Gesellschaft zu reduzieren.

Wie kann ich mir Ihre Arbeit vorstellen?

Ich sehe meine Aufgabe in erster Linie in der strategischen Weiterentwicklung von SOS Kinderdorf und Rat auf Draht. Vor allem möchte ich durch kritische Fragen neue Blickwinkel und so Innovation ermöglichen. Unsere Mitarbeiter*innen sollen die besten Rahmenbedingungen und die größtmögliche Gestaltungsfreiheit bekommen, damit sie ihre tagtäglichen Entscheidungen souverän fällen können. Die aktuelle Zeit der Krisenstimmung ist für Kinder und Jugendliche und unsere Mitarbeiter*innen eine sehr anstrengende Zeit. Ich möchte sie dazu ermuntern, sich Dinge zuzutrauen.

Was ist das Schönste an Ihrer Arbeit?

Wenn wir einen Beitrag dazu leisten, dass die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen gehört werden. Diese ständige Krisenstimmung der heutigen Zeit belastet vor allem Kinder sehr. Ich glaube, es ist uns als Erwachsene gar nicht bewusst, wie sich die andauernd artikulierte Aussichtslosigkeit auf Jugendliche auswirkt. Immer mehr stellen sich die Frage: „Was bringt denn dieses Leben noch?“ Wir müssen dringend mit dem Schwarzmalen aufhören und viel mehr Chancen aufzeigen. Jede negative Seite hat auch eine positive, auch wenn diese nicht immer gleich offensichtlich ist.

Welchen Rat haben Sie für Absolvent*innen, die jetzt gerade auf Jobsuche sind?

Triff Entscheidungen aufgrund von Intuition, Mut und Fakten. Ergreife Chancen, wenn sie sich dir bieten, und lass dich auf Dinge ein. Ich bin immer gut damit gefahren, mir mögliche Folgen von Entscheidungen in Best- und Worst-Case-Szenarien zu überlegen. Wenn man überlegt hat, was das Schlimmste ist, was passieren kann, dann ist es im Grunde gar nicht mehr so schlimm.

 

WORD RAP

Als Kind wollte ich: Tänzerin werden.
Auf diese Frage hätte ich gerne eine Antwort: Gibt es ein zweites Leben?
Könnte ich mir eine Superkraft aussuchen, wäre es:  den Klimawandel und die Ungleichheit zu lösen.
Das gibt es noch nicht, aber braucht die Welt: Chancengleichheit
Meine letzten Worte sollen sein: Schön war‘s.

Brigitte Kuchenbecker

Brigitte arbeitet seit elf Jahren für das ZBP. Ihre Leidenschaften sind das Schreiben und die Personalarbeit – umso besser, dass sie als Chefredakteurin des Karrieremagazins und Autorin des Blogs beide Interessen vereinen kann. In ihrer Freizeit findet man sie in der Natur: beim Wandern, Klettern oder Garteln.

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