Bild: © WU ZBP Career Center

Wir im WU ZBP Career Center spüren einen Umbruch. Viele junge Leute planen ihre Karriere nicht mehr stringent, wollen keine 40 Stunden pro Woche arbeiten, sondern Zeit für Familie, Freund*innen und Hobbys haben.

Auch Kerstin Gelbmann, Geschäftsführerin der Austro Holding, kennt die händeringende Suche nach neuen Talenten: „Wir tun uns derzeit wahnsinnig schwer, unsere offenen Positionen zu besetzen. Vor allem der IT-Bereich macht uns Sorgen.“ Zusätzlich hat sie mit geringer Verlässlichkeit seitens einiger Bewerber*innen zu kämpfen: „Es kommt in letzter Zeit vermehrt vor, dass neue Kolleg*innen am ersten Arbeitstag nicht erscheinen und das, ohne davor abzusagen. Das geht gar nicht!“

Auch William Redl, Anwalt für Kartellrecht bei E+H Rechtsanwälte, räumt ein, dass die Bewerber*innensuche mehr Zeit in Anspruch nimmt als früher: „In unserer Branche werden immer gute Leute gesucht. Dennoch merken wir, dass wir derzeit länger brauchen, um passende Kandidat*innen zu finden.“ Interessent*innen springen last minute ab und man weiß nicht wieso.

Stefanie Schöner hingegen stört der Arbeitskräftemangel nicht. Sie als Masterabsolventin profitiert von den zahlreichen offenen Stellen: „Aktuell ist die Auswahl an Jobs traumhaft. Für mich tun sich viele Möglichkeiten auf und ich bekomme mehr Rückmeldungen denn je!“ In ihrer Peergroup gibt es aber auch Personen, die sich nicht mit dem Berufseinstieg stressen: „Ich habe Bekannte, die direkt nach dem Abschluss ein Kind bekommen haben und sich die Karenz aufteilen und jeweils 25 Stunden in der Woche arbeiten.“

Die neue Generation legt Fokus auf Work-Life-Balance und flexibles Arbeiten

Die Ausgangslage für Bewerber*innen ermöglicht, Forderungen zu stellen. Stefanie Schöner möchte zwar Vollzeit ins Berufsleben starten – dabei soll es aber auch bleiben: „Ich möchte 40 Stunden arbeiten und nicht 40 Stunden plus 20 Überstunden die Woche extra. Klar bleibt man mal länger, wenn es das Projekt erfordert, aber das sollte die Ausnahme sein!“ Außerdem fordert sie die Option ein, Stunden temporär reduzieren zu können, sollten zum Beispiel Betreuungspflichten aufkommen. Ein weiterer Punkt ist das Home-Office. Auf 2 Tage pro Woche Arbeiten von daheim möchte sie in Zukunft nicht verzichten.

„Woher kommt diese neue Einstellung zur Arbeit eigentlich?“,

fragt sich Kerstin Gelbmann. „Was hat die jungen Leute in ihrem Wunsch nach Flexibilität und genügend Zeit für Hobbys und Freund*innen so geprägt?“ Stefanie Schöner gibt eine persönliche Antwort: „Wir haben gesehen, welchen Einfluss die Aufopferung für den Beruf auf die Elterngeneration hatte.“ Ehen seien daran zerbrochen, manche hätten einen Elternteil, meist den Vater, kaum zu Gesicht bekommen. Stefanie Schöner hat auch den Eindruck, dass viele früher nur für den Job gelebt und nun in der Pension keine richtigen Freund*innen mehr hätten. Daher resümiert sie: „Die Jungen wollen sich gleich von Beginn die Zeit anders einteilen.“ Ob die Pandemie auch einen Einfluss hatte? „Das würde ich so nicht unterschreiben. Es gibt sicher Menschen, die nach diesen Erfahrungen mehr Freiheit wollen, eventuell den Berufseinstieg verschieben. Mich haben die Einschränkungen damals aber eher motiviert, mir einen Nebenjob zu suchen, damit ich aus dem Haus komme“, so Stefanie.

Unternehmen im Umbruch?

Und wie reagieren nun die Arbeitgeber auf diese Wünsche? 2 Tage Home-Office die Woche gehören bei E+H Rechtsanwälte mittlerweile zum Standardmodell. Individuallösungen werden auch angeboten: „Wir haben Mitarbeitende, die ihren Doktor machen oder an der WU lehren. Nach einer Lehrveranstaltung arbeiten die meisten dann von der Uni aus weiter“, sagt William Redl. Dennoch können nicht alle Betriebe Home-Office allumfassend anbieten: „In der Produktion können die Mitarbeiter*innen nicht von zu Hause arbeiten. Ebenso wenig unsere Forschungs- und Entwicklungsabteilung“, gibt Kerstin Gelbmann zu bedenken. Home-Office werde dort angeboten, wo es möglich sei.

Die Kehrseite der Medaille

Die Entwicklungen hin zu mehr Flexibilität in der Gestaltung des Arbeitsalltages sind erkennbar. Dennoch hat im Leben alles Vor- und Nachteile. „Eine Stundenreduktion muss man sich leisten können“, gibt Stefanie Schöner zu bedenken. Mit 20 Stunden in der Woche wird es kniffliger über die Runden zu kommen. Außerdem hat Stefanie Schöner die Erfahrung gemacht, als Teilzeitkraft nicht tiefer in ein Projekt eintauchen zu können: „Ich habe den Ausgang einiger meiner Projekte nicht aktiv miterlebt, da ich an diesem Tag z. B. nicht gearbeitet habe.“ Auch das Home-Office hat seine Schattenseiten, denn Stefanie Schöner genießt den persönlichen Austausch mit Kolleg*innen. „Es war ganz schlimm für mich, als wir während den Lockdowns 5 Tage die Woche daheim waren. Das kann ich mir auf die Dauer nicht vorstellen“, sagt die Absolventin.

Das wollen die Unternehmen

Dass sie die Forderungen der neuen Generation berücksichtigen müssen, ist sich Kerstin Gelbmann bewusst. Sich auf den derzeit für Bewerber*innen günstigen Bedingungen auszuruhen, sei aber ein Fehler, mahnt sie.  Denn auch wenn gerade Arbeitskräftemangel herrscht, gewisse Mindeststandards müssen Bewerber*innen erfüllen. Bewerber*innen ohne Praktika, Berufserfahrung oder freiwilligem sozialen Engagement haben es nach wie vor schwer. „Wenn ich im Auswahlprozess ein schlechtes Gefühl habe, dann suche ich weiter. Ohne erkennbares Engagement wird man selbst bei Jobüberangebot nicht die spannendste Aufgabe für sich gewinnen können“, sagt Gelbmann. Sie erwartet sich auch Flexibilität seitens der Bewerber*innen: „Die Arbeit muss getan werden, wenn sie anfällt. Natürlich können Kolleg*innen in ruhigen Zeiten weniger Stunden machen oder auf Zeitausgleich gehen. Aber wenn ein Projekt in der Hochphase ist, dann ist das schwierig.“ Für William Redl ist besonders wichtig, dass „es den Leuten taugt, sie für die Sache brennen und Eigeninitiative zeigen“. Dann würde eine 45. Stunde ab und zu auch gar nicht ins Gewicht fallen, so Redl.

Und wie geht’s jetzt weiter?

Gewisse Forderungen wie das Home-Office haben sich bereits als „New Normal“ etabliert. Bewerber*innen setzen es – zumindest tageweise – voraus und Unternehmen bemühen sich, diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Freilich nur dort, wo es die Art der Tätigkeit erlaubt. Die neue Generation wünscht sich Rücksichtnahme auf die Work-Life-Balance und möchte sich neben der Karriere auch Zeitressourcen für andere Prioritäten freihalten. Flexibilität ist von beiden Seiten gefragt. Kerstin Gelbmann fasst zusammen: „Wir müssen aufeinander zugehen, die gegenseitigen Erwartungen klar ausdrücken. Dann finden wir gut zusammen.“

Brigitte Kuchenbecker

Brigitte arbeitet seit elf Jahren für das ZBP. Ihre Leidenschaften sind das Schreiben und die Personalarbeit – umso besser, dass sie als Chefredakteurin des Karrieremagazins und Autorin des Blogs beide Interessen vereinen kann. In ihrer Freizeit findet man sie in der Natur: beim Wandern, Klettern oder Garteln.

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