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Die Uhr tickt, wir wollen etwas verändern. Fridays for Future und Greta Thunberg mobilisieren weltweit die Massen. Die Zeit ist mehr als reif für Nachhaltigkeit, das Umdenken ist spürbar. Wir denken an morgen und möchten heute die Welt zu einem besseren Ort machen. Es geht um Klimawandel und wie wir die Auswirkungen stoppen können. Und die WU ist mittendrin.

Ich traf Prof. Sigrid Stagl, vom  Institute for Ecological Economics an der WU, und sprach mit ihr über die Rolle, die WU Absolvent/innen bei der Klimathematik zukünftig spielen werden.

Limits to growth

Beginnen wir zunächst mit einer Definition von Nachhaltigkeit. Schlägt man im Duden nach, steht da: „Das Prinzip, nach dem nicht mehr verbraucht werden darf, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren oder künftig bereitgestellt werden kann.“ Vorausschauendes Handeln ist die Devise. Genauso wie das Bewusstsein, dass Handlungen länger andauernde Auswirkungen haben.

Das Wissen um die Bedeutung von nachhaltigem Handeln ist dabei gar nicht neu – auch wenn die Klimakrise erst 2019 medial wirklich hohe Wellen zu schlagen begann. Die Studie vom Club of Rome „Limits to growth“, die sich aus ökonomischer Perspektive mit den kritischen Auswirkungen unserer Produktionsgesellschaft auf den Planeten beschäftigte, wurde bereits 1972 veröffentlicht. Aus Sicht der Naturwissenschaft sind die Haupthebelpunkte sogar noch länger bekannt.

Warum wurde dann nicht schon früher gehandelt? „Weil neues Wissen und neue Ideen in der Regel nicht einfach etabliert werden, sondern auf Hürden und auf Widerstände stoßen“, erklärt Sigrid Stagl. Trägheiten müssen überwunden und neue Erkenntnisse in Regelungen, Gesetze und Politiken aufgenommen werden. „Das dauert. Dass es allerdings 45 Jahre dauert, ist überraschend.“

Who killed the electric car?

Die Interessen von verschiedensten Wirtschaftsträgern spielen bei dieser Verzögerung eine entscheidende Rolle. Denn technische Lösungen, um den Klimawandel zu stoppen oder zumindest zu entschleunigen, gibt es schon lange – nur wurden diese noch nicht genügend implementiert. Ein Beispiel gefällig? Der Dokumentarfilm „Who killed the electric car“ beleuchtet die Entwicklung von einem rein elektrisch betriebenen Auto, das von General Motors vor rund 20 Jahren gebaut wurde. Lange vor Tesla und Elon Musk. Es wurde wieder vom Markt genommen, da der Druck von der Industrie – Öl, Mechaniker, Zulieferer von Ersatzteilen – zu groß wurde. „Durch die Kollision zwischen ökonomischen Interessen und politischer Macht wurde die nötige Transformation um mindestens 10 Jahre verzögert“, so Stagl.

Fridays for Future

Denn natürlich hat die Industrie eine starke Lobby und ein aus ihrer Sicht klares Interesse: Schließlich gibt es ein Produktionsmodell, in das viel investiert wurde. Und daraus möchte man weiter Profite lukrieren. Das Perfide ist nur: Es schadet der Gesellschaft.

Und dann kam Greta Thunberg – und mit ihr eine neue, starke Interessenvertretung: Wir! Wir machen uns stark, damit die Erde auch morgen noch ein schöner Platz zum Leben ist. Nicht zuletzt durch die „Fridays for Future“-Bewegung, die weltweit Massen mobilisierte, entstand ein globaler Druck, Lösungen zu finden.

Was ist schon „billig“?

Betriebs- und Volkswirt/innen wird dabei eine zentrale Rolle zukommen. Sie werden den Ausschlag geben, ob wir den Schwenk hin zu einer nachhaltig agierenden Wirtschaft auf volkswirtschaftlicher und betrieblicher Ebene schaffen. Denn da es die technischen Lösungen zur Reduktion der Emissionen bereits gibt, gilt es nun diese ökonomisch und sozial zu implementieren. „Technologie diffundiert nicht von allein, sie braucht Entscheidungsträger/innen, die diese durchsetzen. Und diese Entscheidungsträger/innen bildet die WU gerade aus“, betont Stagl.

An Skills wird zukünftig das kritische Hinterfragen und Beurteilen von Datengrundlagen genauso an Bedeutung gewinnen wie die Fähigkeit, systematisch und im „großen Ganzen“ zu denken. Sigrid Stagl: „Es geht nicht nur darum, wie sich eine Entscheidung auf mein Unternehmen auswirkt. Vielmehr müssen die gesamten Konsequenzen mitberücksichtigt werden.“ Denn aus volkswirtschaftlicher Perspektive sei „billig“ etwas ganz anderes als aus Projektperspektive.

Emissionen um 50 Prozent senken

Damit die Welt, bildlich gesprochen, morgen noch steht, müssen die Emissionen in den nächsten 10 Jahren weltweit um 50 Prozent gesenkt werden, in Österreich aufgrund des hohen historischen Emissionsausstoßes sogar um 80 Prozent. Ein Ding der Unmöglichkeit? „Es kann gelingen, wenn Entscheidungsträger/innen an der Macht sind, die evidenzbasierte Politik betreiben“, so Stagl. Entscheidungen sollen nicht allein aufgrund von Interessen, sondern unter Berücksichtigung ganzheitlicher, wissenschaftlicher Studien getroffen werden.

Der Feinschliff werde hier einmal mehr den Wirtschafter/innen obliegen. Denn diese können soziale Strukturen dahingehend verändern, dass kohlenstoffextensivere Optionen die leichtere und billigere Wahl sind. Zugfahren soll einfacher und kostengünstiger als Fliegen werden. Heute ist dies großteils noch umgekehrt. Stagl: „Hier gibt es noch spannende, wirtschaftliche Fragen. Wie setzt man z.B. eine Kohlenstoffsteuer um, ohne ärmere Haushalte zu benachteiligen oder Wettbewerbsnachteile zu schaffen?“

Ideen müssen fliegen, Menschen auch?

Aber gehen wir vom Großen ins Kleine. Was kann jede/r Einzelne von uns zum Klimaschutz beitragen? „Bei den meisten wird wahrscheinlich der Mobilitäts-Foodprint der größte sein. Dort würde ich ansetzen“, sagt Stagl. Das bedeutet: Bewusst reisen und Alternativen suchen. Zug statt Flugzeug, Rad statt Auto, Stiege statt Aufzug. Stagl: „Von den Flügen, die von Wien Schwechat starten, sind 40 Prozent mit direkten Zugverbindungen erreichbar. Und meine entspanntesten Reisen sind sowieso die mit der Bahn quer durch Österreichs wunderschöne Landschaft.“

Auch im Business könne man sich für nachhaltige und vielleicht augenscheinlich „unbequemere“ Lösungen einsetzen. Muss zum Beispiel wirklich jemand für einen 45-Minuten-Vortrag eingeflogen werden? „Für mich stellt sich die Frage: Wenn Ideen fliegen müssen, müssen dann die Körper der Forschung oder Wirtschaft auch mitfliegen“, so Stagl. „Die technischen Lösungen, Video-Konferenzen über Kontinente hinweg zu führen, gibt es – vielleicht haben diese auch durch das Social Distancing im Frühjahr 20 einen Aufschwung erfahren. Und sie sind nicht nur umweltwirksamer, sondern auch inklusiver. Man denke nur an Menschen mit Pflegeaufgaben oder Personen, die kein Visum bekommen.“ Es liegt an jedem/jeder Einzelnen von uns, sich diesen neuen Ideen zu öffnen, Verantwortung zu übernehmen und die Vorschläge auch in der Arbeitswelt durchzusetzen.

Einen Kohlenstoffinstinkt entwickeln

Für die Wahl des passenden Arbeitgebers gibt Sigrid Stagl den Tipp, sich die Nachhaltigkeitsberichte anzusehen. Stehen hier schöngeschriebene Worthülsen á la „Wir unterstützen Schulen im Regenwald“ oder sind sie faktenorientiert. Auch die Aktivitätsfelder eines Unternehmens sind interessant. Sind diese Teil der Lösung des Emissions-Problems? Oder beschäftigt es sich mit Produkten, die langfristig für die Gesellschaft nicht mehr tragbar sein werden?

Also, als Fazit: Ja, die Uhr tickt. Und ja, wir wollen etwas verändern. Und das Gute ist: Wir können! Jede/r von uns – und zwar nicht erst seit der „Fridays for Future“-Bewegung. Wir können unser Leben durch unsere Mobilitätsentscheidungen emissionsfreier gestalten. Wir können den Arbeitgeber wählen, der sich dem Thema Nachhaltigkeit innovativ widmet. Und wir können nicht zuletzt als Entscheidungsträger/innen uns neuen, nachhaltigen Wegen widmen. Sigrid Stagls Abschlusswort: „Jetzt ist es an der Zeit, einen Kohlenstoffinstinkt zu entwickeln.“

Brigitte Kuchenbecker

Brigitte arbeitet seit elf Jahren für das ZBP. Ihre Leidenschaften sind das Schreiben und die Personalarbeit – umso besser, dass sie als Chefredakteurin des Karrieremagazins und Autorin des Blogs beide Interessen vereinen kann. In ihrer Freizeit findet man sie in der Natur: beim Wandern, Klettern oder Garteln.

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