Bild: ©  Andreas Kowacsik

Oststeiermark. Vulkanland. Schoko-Laden-Theater – die Eindrücke überwältigen mich auf meinem Weg im Frühling 2019 zu Josef Zotter und seiner Schokoladenfabrik. Nicht nur, dass auf der Riegersburg die landschaftliche Umgebung ein Traum ist, nein, auch die Manufaktur sprüht nur so vor Kreativität. Da sind Endorphine als Skulpturen dargestellt, dort gibt es Kostproben von Schokolade mit Schweineblut oder Mehlwürmern, weiter unten ruht der „Ideenfriedhof“ und hier tanzt ein Schokoladenroboter. „Wie ich mich beschreibe? Volltrottel, Visionär und Andersmacher“, erklärt mir Josef Zotter lachend. Auf dem Tisch in seinem Büro liegen sein Ideenbuch und jede Menge Zahnarzt-Utensilien für die neueste zuckerfreie Attraktion im Schoko-Laden-Theater. Es wird ein Gespräch über Visionen, Ideale, Pleiten und natürlich – Schokolade.

Wollten Sie schon immer Chocolatier werden?

Nicht direkt. Aber ich hatte schon immer die Vision, qualitativ hochwertige Lebensmittel herzustellen. Ich bin hier auf einer Landwirtschaft aufgewachsen, meine Mutter hat sehr gut gekocht und ich habe offenbar auch ein sensorisches Talent. Ich kann Geschmäcke denken. Heute noch sammle ich in meinem Ideenbuch Rezepte, die ich nicht einmal zu kosten brauche, weil ich weiß, wie sie schmecken. Doch als Jugendlicher wollte ich weg von der Oststeiermark – es war mir hier zu eng und zu klein strukturiert. Also habe ich mir überlegt, mit welchen Berufen ich die Welt sehen könnte, und begann Lehren in der Gastronomie: Koch, Kellner und später Konditor. Chocolatier bin ich ohne Lehre geworden. Dann eröffnete ich in Graz und Umgebung 4 Konditoreien – und bin mit meiner Idee, gute Lebensmittel herzustellen, prompt gescheitert. Ich ging in Konkurs.

Wie kam es zu dem Konkurs?

Ich war wahrscheinlich zu früh dran – das Bewusstsein für Biolebensmittel war Mitte der 90er noch nicht vorhanden. Außerdem war ich einfach größenwahnsinnig: Ich habe sehr schnell expandiert und hatte dementsprechend hohe Kredite zu bedienen. Aber ich habe kein schlechtes Gefühl, wenn ich daran zurückdenke. Ich finde sowieso, dass Österreich eine Kultur des Scheiterns guttäte. Dieses Verschweigen und Peinlich-berührt-Sein braucht doch kein Mensch.

Wie haben Sie Ihr Unternehmen wiederaufgebaut?

Die Lösung war, zu verkleinern. Und zwar drastisch: von 50 Mitarbeiter/innen runter auf 2 – meine Frau und mich. Natürlich sagen manche Berater/innen, dass man das gleiche Geschäft fahren kann, wenn man Kosten einspart. Aber wo würde man zuerst sparen? Beim Wareneinsatz! Statt guten Nüssen nur halbgute, statt Butter Margarine. Das widerspricht ja komplett meiner Philosophie. Also haben wir verkleinert. Und dann standen meine Frau und ich eines Nachts bei einem Glaserl Rotwein vor einer wichtigen Entscheidung: Konditorei – die lief mittlerweile wieder recht gut – oder Schokolade? Beides ging nicht. Meine Frau wollte die Konditorei, es wurde die Schokolade (lacht).

Okay? Wie hat Ihre Frau darauf reagiert?

Sagen wir so: Es herrschte ein paar Tage Gesprächsarmut (lacht). Aber im Ernst: Ohne meine Frau würde es das Unternehmen nicht geben.

Warum genau die Schokolade?

Es war diese Vision. Ich habe ja damals die handgeschöpfte Schokolade mit den Schichten erfunden. Ich war beseelt davon. Und: Es machte sonst niemand. Alle anderen haben die Schokolade gerührt, was zu einem völlig anderen Ergebnis führt.

Wieso sind Sie mit der Fabrik wieder in Ihre Heimat zurückgekehrt? Sie wollten doch in die weite Welt?

Die Entscheidung war pragmatisch: Nach der Pleite haben uns die Banken kein Geld für ein neues Unternehmen gegeben. Daher sind wir auf den Hof meiner Eltern zurückgekehrt. Mein Vater hat uns den Kuhstall überlassen, wir haben ihn selbst verfliest und begonnen, Schokolade herzustellen.

Haben Sie damals schon „ab Hof“ verkauft?

Ja, das war das Erstaunliche! Hier war zur damaligen Zeit außer Landwirtschaft gar nichts. Und trotzdem sind Leute gekommen und haben nach unserer Schokolade gefragt. Mit der Zeit kamen immer mehr Menschen, manchmal gab es sogar kleine Warteschlangen vor dem Fenster. Also überlegten wir die nächsten Schritte. Bei zusätzlichem Personal war ich aufgrund der Kosten und meiner Insolvenzerfahrungen logischerweise vorsichtig. So entstand die Idee der „Running Chocolate“ – ähnlich wie beim Running Sushi wird die Schokolade mit dem Förderband zum Verkosten serviert. Der Hype, dass die Do-it-yourself-Stationen Spaß machen, kam später noch dazu. Und heute lebt die gesamte Manufaktur von den interaktiven Erlebnissen zum Selbermachen.

Ach so, die Manufaktur wurde gar nicht so geplant?

Nein, gar nicht. Deswegen ist das Bauwerk auch nicht aus einem Guss, sondern eben gewachsen. Es gibt sogar ein giftgrünes Dach, obwohl wir ein Biobetrieb sind.

Kreieren Sie eigentlich alle Schokoladensorten selbst? Oder gibt es auch „Innovations-Chocolatiers“?

Nein, o Gott, Hilfe! Wenn Kund/innen ihr Geld für eine Zotter-Schokolade ausgeben, dann muss auch Zotter drin sein. Meiner Meinung nach gehört der Chef in die Produktion. Denn dort passiert das Geschäft – nicht in den Büros im Glashaus.

Draußen gibt es einen „Ideenfriedhof“. Was hat es damit auf sich?

Wir kreieren jedes Jahr 60 bis 80 neue Sorten, also müssen auch 60 bis 80 alte weg. Denn wir haben ja insgesamt schon 500 Sorten. Und ich überlasse diese Entscheidung nicht der Kostenrechnung oder dem Marketing, sondern meinem Bauchgefühl. Der Bauch ist das bessere Hirn. Denn das, was dir das Leben schöner macht, wird auch anderen das Leben schöner machen. Im Marketing wird oft überzeichnet oder strategisch entschieden. Aber es geht nicht um eine schöne Verpackung, sondern um den Inhalt. Mach dein Produkt nie schöner, als es ist. Aber auch nicht schiarcher (lacht).

 

Apropos Marketing: Inwieweit setzen Sie auf Marktforschung?

Wenig. Denn der Markt greift auf das zurück, was er kennt. Und so entsteht immer das Gleiche. Unser Hirn wird nicht jubeln, wenn wir eine Sorte „Würmchen mit Orangengeschmack“ produzieren. Wir essen ja nicht sehr oft Würmer – aber ich weiß, wie man sie zubereitet.

Die Sorten mit Insekten oder Schweineblut sind schon sehr speziell …

Ich glaube, dass unsere Instinkte noch sehr auf Überleben getrimmt sind – das hemmt aber Innovationen. Tief in unserem Inneren ist verankert, dass uns Insekten die Nahrung wegfressen. Und daher führen wir auch mit Insektenschutzmitteln und Ähnlichem einen Krieg gegen sie. Da muss eine Aufklärung her. Genauso ist es beim Fleisch. Wenn wir schon Fleisch essen, dann sollten wir es auch würdigen. Wir sollten uns damit auseinandersetzen und ein Bewusstsein für das Tier dahinter bekommen. Deshalb gibt es auch den essbaren Tiergarten. Ich will, dass sich Menschen mit ihrer Nahrung beschäftigen und ihren Wert erkennen. Das ist mir ein großes Anliegen.

Was ist das Geheimnis Ihres Erfolges?

Es wird heute viel über Wachstum geredet: Wie kann man noch schneller noch größer werden? Und natürlich habe ich noch Potenzial nach oben. Jetzt gibt es Zotter seit 32 Jahren und ich stehe noch immer kurz vor dem Durchbruch (lacht). Aber für mich zählt vielmehr mein Potenzial nach unten: Wie viel Verlust darf ich mir erlauben, um nicht insolvent zu werden? Ohne diesen Finanzdruck wird man automatisch kreativer. Schnell Geld vermehren zu wollen ist meiner Meinung nach ungesund.

Zum Abschluss Ihr Tipp für Absolvent/innen?

Wenn man erfolgreich ist, kann man auch leicht reden, nicht? Aber mein Tipp für Wirtschaftsstudierende wäre: Wenn ihr die Wirtschaft verändern wollt, dann macht es! Es gibt keine 10 Punkte, mit denen man immer erfolgreich sein wird. Einfach machen! Probieren! Mit Leidenschaft. Und wenn Hindernisse kommen, noch einmal probieren. Das, was man selbst gerne hätte, von dem sind erfahrungsgemäß auch andere begeistert. Außerdem ist es ganz wichtig, eine Nische zu suchen, aus der heraus man größer werden kann. Ich bin ein Andersmacher. Das ist keine besondere Erfindung, das ist meine Nische. Modetrends zeigen „gefühlt“ nach vorne, aber damit öffnen sich Wege nach hinten. Die frei sind!

Vielen Dank für das Gespräch!

Brigitte Kuchenbecker

Brigitte arbeitet seit elf Jahren für das ZBP. Ihre Leidenschaften sind das Schreiben und die Personalarbeit – umso besser, dass sie als Chefredakteurin des Karrieremagazins und Autorin des Blogs beide Interessen vereinen kann. In ihrer Freizeit findet man sie in der Natur: beim Wandern, Klettern oder Garteln.

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